Eine starke, soziale und nachhaltige EU-Industriepolitik ist entscheidend für unsere Zukunft. Sie steht für gute Arbeitsplätze, weniger Abhängigkeit von Drittstaaten und mehr Sicherheit und Gerechtigkeit für Arbeitnehmer:innen. Gerade in Zeiten multipler Krisen müssen wir deshalb in unseren Standort investieren. Als größter Binnenmarkt der Welt müssen wir auch in Zukunft wettbewerbsfähig sein. Schlüsseltechnologien wie Windkraft- und PV-Anlagen, Zukunftstechnologien wie grüner Wasserstoff und grundlegende Ressourcen wie Medikamente müssen bei uns in der EU produziert werden. So reduzieren wir Abhängigkeiten, garantieren Sicherheit und schaffen und schützen gute Arbeit.
Die Klimakrise macht es notwendig, dass wir in den kommenden Jahren unsere Wirtschaft dekarbonisieren und klimaneutral gestalten. Diese Umgestaltung darf jedoch nicht zu einer Deindustrialisierung Europas führen. Wir brauchen daher einen aktiven Staat zur Sicherung des Industriestandortes sowie für Investitionen in Infrastruktur und Zukunftstechnologien.
Beispiele aus zahlreichen Branchen zeigen, dass wir gestaltend eingreifen müssen. Im Bereich der Wasserstoffproduktion könnten wir eine Vorreiterrolle einnehmen, wenn wir die Produktion fördern und die notwendige Infrastruktur schaffen. Notwendig ist diese Förderung, da viele energieintensive Bereiche, die bisher mit fossilen Brennstoffen – vor allem mit Erdgas – betrieben werden, einen anderen Brennstoff benötigen, um klimaneutral werden zu können. Dies betrifft vor allem Branchen wie die Stahlproduktion, die Zementproduktion oder die Chemieindustrie. Eine aktive grüne Industriepolitik stellt sicher, dass wir nur in grünen, also nachhaltig produzierten Wasserstoff investieren und Aus- und Weiterbildungsplätze für Facharbeiter:innen schaffen. So schaffen wir neue, qualitativ hochwertige Arbeitsplätze und stärken unsere grüne Industrie.
Erneuerbare Energien wie Windkraft und Solarenergie bieten ebenfalls riesige Potenziale für eine grüne EU-Industriepolitik. Wir können dadurch unsere Abhängigkeit von autokratischen Systemen und Diktaturen beenden, die uns teures Erdöl und Erdgas liefern. Wir können unsere Versorgungssicherheit stärken, indem wir Energie direkt in Europa produzieren, und eine Vielzahl von guten, grünen Jobs in unserer Union schaffen.
Um die Energiewende zu schaffen, werden wir in Zukunft unter anderem eine hohe Anzahl an Solarpanelen benötigen. Aktuell sind wir hier stark von China abhängig. Das kostet uns Wertschöpfung, die aus der EU abfließt, und gefährdet langfristig unsere Energiesicherheit. Durch gezielte Förderung der Produktion können wir uns jedoch unabhängig machen und gleichzeitig gute und grüne Arbeitsplätze schaffen. Anders als bei Solaranlagen stehen wir in Europa bei der Produktion von Windturbinen gut da. Der Druck des internationalen Wettbewerbs wird aber auch hier immer stärker. Länder wie China und Indien drängen mit niedrigen Preisen auf den europäischen Markt. Es gilt, hier rechtzeitig gegenzusteuern, indem die europäische Produktion gezielt gefördert wird und Subventionen nur vergeben werden, wenn europäische Arbeitsrechts- und Umweltschutzstandards eingehalten werden. Der Preis darf nicht das alleinige Kriterium bei der Vergabe sein. Stattdessen müssen wir in eine sozial und ökologisch nachhaltige europäische Windindustrie investieren.
Nicht nur die Energieproduktion – von der Solarenergie bis zum Wasserstoff – muss in der EU gestärkt werden. Auch grundlegende Bedürfnisse wie die Gesundheitsversorgung müssen wir mit Produkten „Made in Europe“ stillen können. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder gesehen, wie abhängig unsere Medikamentenversorgung von anderen Staaten ist. Als das havarierte Containerschiff „Ever Given“ 2021 im Suez-Kanal auf Grund lief, blockierte es damit eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Das führte uns deutlich vor Augen, wie anfällig unsere globalen Lieferketten sind. Alles, von Spielzeugautos bis zu lebenswichtigen Medikamenten, hing plötzlich fest. Um künftig besser gewappnet zu sein, müssen wir daher kritische Industrien wie die Produktion von Medikamenten oder medizinischen Produkten zurück nach Europa holen. Damit garantieren wir Versorgungssicherheit, hohe Qualität und gute Arbeitsplätze.
Letztlich müssen wir in Europa jetzt die Weichen stellen, damit wir in den nächsten Jahren nicht von anderen Wirtschaftsräumen überholt werden. Statt aber die notwendigen Investitionen zu ermöglichen, schnürt das europäische Beihilfenrecht unter dem Deckmantel der Förderung des Wettbewerbs ein enges Korsett für die Vergabe von Förderungen. Nur mit einer Flexibilisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen werden wir gegen andere Weltregionen bestehen können. Daher müssen wir die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Förderungen an Bedingungen wie etwa „Europe first statt Made in China“ knüpfen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen.
Wir müssen deshalb das Vergabe- und Beihilfenrecht dringend reformieren. Es braucht eine umfassende Industriestrategie einschließlich umfassender Fördermittel für eine klimaneutrale Produktion. Als Gewerkschafter sehe ich es als meine Aufgabe sicherzustellen, dass diese Branchen gute Arbeitsbedingungen, soziale Absicherung und betriebliche Mitbestimmung bieten. Die Gestaltung des Strukturwandels darf nicht der Wirtschaft allein überlassen werden. Belegschaft und Belegschaftsvertretung müssen Veränderungsprozesse aktiv mitgestalten, um eine nachhaltige Unternehmenspolitik voranzutreiben. Nur wer seinen Arbeitnehmer:innen eine starke Mitbestimmung und gute Arbeitsplätze bietet, darf auch europäisches Geld erhalten.